Bauermanns EM-Kolumne: Warum Herberts Ansatz richtig ist und ich mich persönlich für ihn freue – NBA – Basketball – diesportexperten.de
Dirk Bauermann (64) analysiert für den kicker die deutschen EM-Spiele. In seiner fünften Kolumne beschäftigt sich der frühere Bundestrainer mit der Vorrundenbilanz – und dem aktuellen Bundestrainer, gegen den er einst um zwei Deutsche Meisterschaften kämpfte.
Kennen sich aus vielen BBL-Duellen: Gordon Herbert (li.) und Dirk Bauermann.
imago/Jan Huebner
Nach der Niederlage gegen Slowenien war es wichtig, sich ein Erfolgserlebnis zu holen, um mit viel Selbstvertrauen in die K.-o.-Runde zu gehen. Die tolle Leistung gegen Ungarn ohne Schröder, Theis und Weiler-Babb zeigt, wie intakt die Moral der Mannschaft ist und wie tief sie besetzt ist. Christian Sengfelder hat 22 Punkte gemacht, also auch am Ende der Bank haben die Jungs viel Qualität und könnten dem Team absolut helfen. Aber natürlich ist es schwierig, alle zwölf einzusetzen, das ist immer ein Rhythmusproblem.
Man kann die Jungs nur dazu beglückwünschen, in einem Spiel um die goldene Ananas nochmal so eine Leistung abzurufen. Und man muss sicher auch ganz besonders das Kölner Publikum und die tolle Stimmung in der ganzen Stadt loben. Meine Tochter lebt in Köln und hat das mitbekommen. In der Halle herrschte eine grandiose Atmosphäre, die Fans haben die Truppe auch in Schwächephasen voll unterstützt. Man merkt einfach, wie sympathisch die Mannschaft ist und wie sehr sich die Fans mit ihr identifizieren.
Dirk Bauermanns EM-Kolumnen
Alles in allem war es am Mittwoch ein toller Abschluss einer überragenden Vorrundenvorstellung der deutschen Mannschaft, die eine klar definierte Identität zeigt. Über eine aggressive, physische Verteidigung mit klaren Abläufen wird versucht, das Spiel zu kontrollieren. Das Angriffsspiel zeichnet sich einerseits durch gute Ballbewegung aus, aber auch durch den Plan, die besten Eins-gegen-eins-Spieler Schröder, Wagner und Lo immer wieder in Position zu bringen und ihnen Raum zu geben, das Spiel zu öffnen. Das ist möglich, weil alle großen Spieler bis auf Wohlfarth-Bottermann auch von außen gefährlich sind, und zwar nicht nur mit dem Drei-Punkte-Wurf, sondern auch mit einem von einer guten Wurffinte eingeleiteten, aggressiven Zug zum Korb.
Das Spacing, also die Raumaufteilung, ist durch das Talent und die Fähigkeit unserer großen Jungs, ihre Gegenspieler mit nach außen zu ziehen, hervorragend. Dadurch entstehen für alle immer wieder Freiräume unter dem Korb. Anhand dieser modernen Ausrichtung der Mannschaft mit fünf oder vier Außenspielern und einer Verteidigung, in der oft die Gegenspieler geswitcht werden, lässt sich die Handschrift von Gordie Herbert klar erkennen. Er hat einen immensen Anteil an den sehr guten Leistungen des Teams.
Man hat das Gefühl, dass er den Jungs vertraut. Das ist für die Spieler eine wichtige Wahrnehmung. In den ersten 20 Sekunden der Auszeiten haben sie beispielsweise Zeit untereinander zu sprechen und Gordie wechselt eigentlich nie nach Fehlern aus. Das tut dem Selbstvertrauen der Spieler gut, weil sie nicht immer über die Schulter schauen müssen in der Angst, nach einem kleinen Fehler sofort auf der Bank zu landen. In seinen Ansprachen ist Gordie sehr ruhig, was für eine Mannschaft, die augenscheinlich einen unfassbaren Willen zeigt und zu Hause spielt, genau der richtige Ansatz ist.
Wenn man wie der italienische Trainerkollege Gianmarco Pozzecco bei einer Heim-EM auch noch übertrieben emotional an der Seitenlinie wirkt, erhöht das eher den Druck auf die Mannschaft, der nach meiner Erfahrung sowieso schon hoch genug ist. Insofern schafft es Gordie durch seine besonnene Art, der Mannschaft nicht nur Druck zu nehmen, sondern sie auch zu beruhigen und ihr eine innere Ausgeglichenheit zu geben, die man braucht, um erfolgreich zu spielen.
Dirk Bauermann trainierte bis Mittwoch Tunesien.
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Die Anweisungen in den Auszeiten sind immer klar und in aller Regel taktischer Natur. Er verzichtet auf den Versuch, zusätzlich zu motivieren und zu inspirieren, was bei dieser Mannschaft offenbar auch nicht notwendig ist. Insofern halte ich seinen Ansatz für absolut richtig. Ich habe Gordie als einen sehr professionellen Coach kennengelernt, der mit einem hohen Maß an Respekt mit seinen Trainerkollegen umgeht. Wir hatten immer ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis, haben nach persönlichen Erfolgen immer wieder Nachrichten ausgetauscht und uns gegenseitig beglückwünscht.
Daher freue ich mich auch für ihn ganz persönlich, dass dieser eingeschlagene Weg mit der relativ jungen Mannschaft so gut funktioniert und sie offenbar sehr positiv auf ihn reagiert. Allen Beteiligten ist zuzutrauen, dass es weiter erfolgreich sein wird in den nächsten Spielen. Dafür drücke ich zusammen mit allen Basketball-Fans dieser extrem sympathischen Mannschaft beide Daumen.
Dirk Bauermann (64) hat mit der deutschen Nationalmannschaft um Dirk Nowitzki 2005 EM-Silber gewonnen und die DBB-Auswahl insgesamt gut acht Jahre gecoacht (WM 1994, 2003 bis 2011). Mit Leverkusen und Bamberg gewann Bauermann als Trainer unter anderem neun Deutsche Meistertitel – 2005 gegen die von Gordon Herbert trainierten Frankfurt Skyliners, die im Jahr zuvor gegen Bauermanns Bamberger die Finalserie gewonnen hatten. Mit Tunesien gewann er 2021 die Afrikameisterschaft, am 7. September 2022 beendete er sein Engagement als Nationaltrainer der Nordafrikaner wegen eines Krankheitsfalls in der Familie.