Zum Tode von Bill Russell: Ein Mann, noch größer als sein Werk

Zum Tode von Bill Russell: Ein Mann, noch größer als sein Werk – NBA – Basketball – diesportexperten.de



Bill Russell war der erfolgreichste NBA-Spieler überhaupt. Und doch redet am Tag nach seinem Tod kaum jemand über den Sportler.

Ein Gigant unter Giganten: Bill Russell (re.).


Ein Gigant unter Giganten: Bill Russell (re.).

Getty Images


Als Michael Jordan, nach drei mit den Bulls gewonnenen Meisterschaften, seine Basketballschuhe 1993 überraschend an den Nagel hängte – zumindest vorübergehend -, stellten sie ihm in Chicago eine Statue vor die Arena, auf deren Sockel geschrieben stand: „Der Beste, den es jemals gab. Der Beste, den es jemals geben wird.“


Als Bill Russell die Celtics ziemlich genau drei Jahrzehnte zuvor bereits zu sechs Meisterschaften geführt hatte, waren sie in Boston in sein Haus eingebrochen und hatten dort rassistische Schriftzüge an den Wänden hinterlassen – und ihre Fäkalien in seinem Bett.

Aus der Heimat vertrieben – Olympia-Gold


Russell, 1934 im südlichen Louisiana geboren, war mit seiner Familie im Alter von acht Jahren schon von dort vertrieben worden. William Felton, genannt Bill, wuchs schließlich im fernen Kalifornien auf. Und selbst wenn er damals schon die nationale College-Liga als mehrmaliger Meister zu Regeländerungen gezwungen oder als Kapitän des Basketball-Teams 1956 Olympia-Gold für die USA gewonnen hätte: Daran hätte das nichts geändert. Die „falsche“ Hautfarbe reichte damals schon aus.


Um Meisterschaften ging es beim Menschen Russell nie. Elf sollten es einmal werden, sechs davon hatte er auch schon im Rücken, als er im Sommer 1963 bei Martin Luther Kings berühmter „I have a dream“- Rede in der ersten Reihe stand. King hatte den bekannten Sportstar zu sich aufs Podium gebeten, was sich dieser aber nicht herausnehmen wollte: „Dafür habe ich noch nicht genug getan.“ Wieder ging es nicht um Meisterschaften.


Werden Sie sich den weißen Spielern gegenüber rassistisch verhalten?


Frage an den Spielertrainer Bill Russell


Das ging es auch nicht bei Russells erster Pressekonferenz, als er die großen Celtics 1966 als Spielertrainer übernahm. „Werden Sie sich den weißen Spielern gegenüber rassistisch verhalten?“, lautete sinngemäß die erste Frage aus der Journalistenschar. Vergeltung? Für so etwas hatte Russell allein schon keine Zeit.


1967 hatte er sich lieber dem „Cleveland Summit“ angeschlossen, als sich etliche Schwarze Sportgrößen zusammentaten, um Muhammad Alis schwer kritisierte Entscheidung zu verteidigen, nicht in den Vietnamkrieg zu ziehen. Football-Star Jim Brown hatte die Konferenz organisiert, zu ihrem Antreiber und Gesicht wurde Russell – während er Boston, in Doppelfunktion, zu weiteren Meisterschaften führte. Alis Weltmeistertitel wurde trotzdem aberkannt.


Wie oft hätte Russell seinen Kopf verlieren, wie oft hätte er einfach aufgeben können? Denn die Liste würde sich noch eine Weile fortsetzen lassen. Er tat es nicht, dafür war er auch einfach zu schlau. So durchdacht, wie er die großen Duelle mit seinem ewigen Rivalen Wilt Chamberlain individuell meistens zu verlieren schien, um die Spiele mit uneigennützigem Team-Basketball am Ende doch zu gewinnen, trat er als Sprachrohr der unterdrückten „Black Community“ auf. Während ihn das FBI als „arrogant negro“ – diese Übersetzung ist wohl selbsterklärend – wie einen Feind beobachtete.

Mit 83 Jahren auf Twitter – aus gutem Grund


Die 1960er Jahre waren längst Geschichte und Meisterschaften konnte Russell erst recht keine mehr gewinnen, als er im September 2017 plötzlich auf Twitter auftauchte. Gepostet wurde ein Bild, das den 83-jährigen Russell auf einem Knie zeigt – eine Geste der Unterstützung für den NFL-Quarterback Colin Kaepernick, der sich ebenfalls gegen soziale Ungerechtigkeit positioniert hatte. Was ihn – und das in der Neuzeit – den Job kostete.

Bill Russell


Von Magic Johnson bis Allen Iverson: Granden aller Generationen scharten sich um Russell.
Getty Images


Das Sprachrohr ist Russell immer geblieben, gesellschaftlich wie sportlich. Den nach ihm benannten Award für den besten Spieler einer jeden NBA-Finalserie hat er den Gewinnern stets selbst überreicht, solange seine Gesundheit das zuließ. Bis zuletzt blieb Russell präsent, ein Idol für Sportler sämtlicher Generationen, die seine Nähe und seinen Rat gerne suchten. Lebendige Geschichte zum Anfassen.


Am vergangenen Sonntag ist ein geschichtsträchtiges Leben nach 88 Jahren zu Ende gegangen, ist mit Bill Russell einer der größten Basketballspieler und auch einer der größten Sportler des 20. Jahrhunderts verstorben. Und doch möchte seither kaum jemand über seine elf Meisterschaften sprechen, die wahrscheinlich auf ewig unerreicht bleiben werden.


„Er war ein Pionier und hat jedem Schwarzen Spieler, der nach ihm in die Liga kam, den Weg geebnet – inklusive mir“, bedankte sich kein Geringerer als Michael Jordan. Als „großartigen Amerikaner, der alles getan hat, was er konnte, um das Versprechen eines Amerikas für alle Amerikaner einzulösen“, adelte US-Präsident Joe Biden den Sportgiganten. Und mit Barack Obama merkte einer von Bidens Vorgängern an, dass so groß Russell auch war – und das waren immerhin 2,08 Meter -, „sein Vermächtnis reicht darüber hinaus“. Um nicht zu sagen: Der Mensch hat sein sportliches Werk noch übertroffen.

© – by kicker.de

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