Die Sensation von München: Als Deutschlands Basketballer den einzigen EM-Titel holten

Die Sensation von München: Als Deutschlands Basketballer den einzigen EM-Titel holten – NBA – Basketball – diesportexperten.de



Eine Basketball-Europameisterschaft in Deutschland? Da werden Erinnerungen wach. Vor fast 30 Jahren holte die DBB-Auswahl den einzigen Titel ihrer Geschichte – bei einer Heim-EM.


Am heutigen Donnerstagabend (20.30 Uhr) bestreitet die deutsche Basketball-Nationalmannschaft den Auftakt bei der Heim-Europameisterschaft in Köln gegen Frankreich. Eine Heim-EM gibt es nicht das erste Mal für die Deutschen – vor fast 30 Jahren war es aber eine ganz besondere.


Spannend ist die Zeit, als die Basketball-Europameisterschaft 1993 in Deutschland stattfinden soll. Politische Umwälzungen haben neue Nationen und mit ihnen neue Nationalmannschaften geformt. Vielvölkerstaaten brechen auseinander, verschieben die Favoriten- und Underdog-Rolle. Bei den Olympischen Spielen 1992 sorgt das US-amerikanische Dream-Team um Michael Jordan für Basketball-Begeisterung, deutsche Spieler wie Detlef Schrempf tauchen in der besten Liga, der NBA, auf. Und nun soll auch Deutschland diesen Hype im eigenen Land anheizen, mit einem tollen Turnier vor heimischem Publikum. Nur: Überzeugt davon sind die wenigsten, sogar beim Deutschen Basketball-Bund.


Einzig Bundestrainer Svetislav Pesic glaubt an den großen Wurf. In einer äußerst sehenswerten Dokumentation, die der Bayerische Rundfunk 2013 zum 20-jährigen Jubiläum des EM-Titels produziert hat, erinnert sich der Serbe später zunächst an seine Aufbauarbeit im deutschen Basketball, die sechs Jahre vor dem Turnier begonnen hat. „Ich habe damals einen neuen Opel Omega bekommen und bin durch Deutschland gefahren, um die Spieler zu sehen und den Leuten die Bedeutung der Nationalmannschaft zu erklären.“ Pesic spricht beim Amtsantritt kein Deutsch, glaubt aber an das Potenzial.


Unser Ziel muss eine Medaille sein.



1993 ist sich der heutige Coach von Titelaspirant Serbien also sicher: Sein Team kann bei der heimischen EM viel erreichen – auch wenn die beste Platzierung einer westdeutschen Mannschaft bis dahin ein fünfter Platz bei der EM 1985 ist. „Unser Ziel ist München“, sagt er. In der bayerischen Landeshauptstadt findet die Finalrunde statt, doch der Trainer will noch mehr: „Unser Ziel muss eine Medaille sein.“

Pesic erzeugt Reibung, schweißt das Team aber auch zusammen


Dabei läuft schon einiges schief, bevor das Turnier überhaupt begonnen hat. Superstar Schrempf fehlt verletzungsbedingt. Pesic legt sich außerdem mit Christian Welp an. Weil der Center von Dauermeister Leverkusen nicht rechtzeitig zur Vorbereitung stoßen wird, will ihn der Coach aus dem Kader streichen. Das Verbandspräsidium stellt sich quer, am Ende überlässt Pesic der Mannschaft die Entscheidung. Welp, der zuvor jahrelang nicht fürs DBB-Team gespielt hat, reist zwar verspätet an, steht aber beim Auftakt gegen Estland im Kader.

Svetislav Pesic


Svetislav Pesic bei der Feier 20 Jahre nach dem EM-Titel.
imago sportfotodienst


Typisch für Pesic: Der streitbare Trainer erzeugt Reibung, nimmt Spieler wie Welp oder Spielmacher Kai Nürnberger hart ran – versteht es aber auch, ihnen Selbstvertrauen zu geben und ein Team zusammenzuschweißen.


Doch das erste EM-Spiel wird zur großen Enttäuschung. In der Berliner Deutschlandhalle, die 2011 abgerissen wurde, kassiert die deutsche Mannschaft beim Auftakt eine 103:113-Niederlage gegen Außenseiter Estland. Von der im Vorfeld erhofften Euphorie bleibt schon vor Beginn nicht viel übrig, die Mehrheit der Plätze in der Halle bleiben frei. Das diffuse Licht, das auf das Parkett leuchtet, tut sein Übriges. Von einer Art „Alptraum“ und einer „kafkaesken Stimmung“ spricht Schöngeist Henning Harnisch später im TV-Interview.


Die Auftaktpleite ist jedoch schnell vergessen. Gegen Belgien macht der Gastgeber nur einen Tag später kurzen Prozess (93:64), schon zur Pause führt Deutschland – angeführt von Center Gunther Behnke – mit mehr als 20 Punkten, verteidigt zudem hart und clever. Im abschließenden Gruppenspiel zieht die DBB-Auswahl eine kompliziertes Partie gegen Slowenien auf ihre Seite, erlaubt dem aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangenen Gegner – ein Geheimfavorit – trotz Pausenrückstand nach der Halbzeit nur noch 15 Punkte (79:57). Als Zweiter hinter Estland, aber mit einer Punktdifferenz von +41 (Estland zieht mit -6 weiter) geht es in die Zwischenrunde. Der Zuschauerzuspruch bleibt noch immer gering, aber immerhin: Das erste Etappenziel ist erreicht.


Die Zwischenrunde gerät dann aber beinahe zum Desaster. Gegen Frankreich verliert die deutsche Auswahl das erste Spiel verdient, gegen EM-Neuling Kroatien setzte es eine 63:70-Niederlage. Alles hängt nun vom letzten Spiel gegen die Türken ab, die in Berlin zahlreich unterstützt werden. Endlich ist Stimmung in der Deutschlandhalle – doch die meisten, zumindest aber die lautesten Zuschauer, halten es mit der Türkei. Zur Pause liegt die DBB-Auswahl – erstmals mit dem fitten Henrik Rödl auf dem Parkett – knapp hinten. Am Ende steht ein 77:64-Sieg, der gleichbedeutend mit dem Viertelfinal-Einzug ist. Es ist die bis dahin beste Leistung der Deutschen.


Die komplette Finalrunde findet in München statt, der DBB-Tross zieht von der Hauptstadt nach Bayern um. „Während des Flugs ist alles von uns abgefallen, wir waren befreit, hatten unser Ziel erreicht“, erinnerte sich der leidenschaftliche Verteidiger Michael Koch später beim BR. Die neue Ausgangslage? „Wir sind in München und können nun befreit aufspielen.“

Spanien wird niedergerungen – Die griechischen Fans randalieren nach dem Halbfinale


Weil die DBB-Auswahl nur knapp den Sprung aus der Zwischenrunde schafft, wartet mit Spanien ein echtes Schwergewicht. In der Münchner Olympiahalle mit der hellen und geschwungenen Architektur scheint aber ein anderer Geist zu herrschen als in der traditionsreichen, dunklen und weitläufigen Berliner Deutschlandhalle. Zwar ist auch das Viertelfinale schlecht besucht, doch das trübt die Stimmung nicht mehr. Den hochfavorisierten Spaniern begegnet Deutschland auf Augenhöhe.


Halbfinale zu Hause – und wir haben ein Auswärtsspiel.


Hansi Gnad über die griechischen Fans in der Halle


Nach vier Vierteln muss die Overtime entscheiden, in der ausgerechnet der umstrittene Welp erst den Rebound holt und dann die entscheiden Punkte zum 79:77-Sieg markiert. Direkt anschließend flüchtet der Matchwinner regelrecht aus die Halle, will nichts mit dem Jubel seiner Mitspieler zu tun haben. Szenen, die sich später wiederholen werden. Das erste dicke Ausrufezeichen ist gesetzt, vom „größten Tag des deutschen Basketballs“ ist später in der ARD die Rede.

Hansi Gnad


Kapitän der Deutschen: Hansi Gnad gegen Griechenland.


Die Iberer, eine Art Angstgegner, hatten zuvor nur eine Partie in diesem Turnier verloren, gegen Griechenland – auf das die deutsche Mannschaft nun im Halbfinale trifft. Es folgt: das zweite, noch dickere Ausrufezeichen. Wieder sind die Gastgeber der Underdog, wieder wird der Gegner lautstark von den Rängen und der Mehrheit der Besucher unterstützt. „Ich war angekotzt“, erinnert sich Kapitän Hansi Gnad. „Halbfinale zu Hause – und wir haben ein Auswärtsspiel.“ Vielleicht ist es Ansporn, vielleicht auch einfach die Underdog-Rolle. Die DBB-Auswahl lässt dem Europameister von 1987 jedenfalls kaum eine Chance. Nur einmal führt Griechenland, muss sich nach einer konzentrierten Leistung der Deutschen mit 73:76 geschlagen geben.


Teile der griechischen Anhänger fangen daraufhin an zu randalieren, die Polizei muss einschreiten und die Olympiahalle räumen. Bei den Deutschen hingegen ist der Jubel grenzenlos. Zum ersten Mal stehen sie in einem EM-Finale – und haben eine Medaille sicher. Kaum einer hielt das für möglich – außer Pesic.

„Europameister zu sein … Das kann nicht jeder von sich sagen“


Und der Coach weiß, dass sein Team nun der ganz große Wurf gelingen kann. Die Gastgeber wollen mehr. Deutschland fordert jetzt Russland, das als Nachfolger des 14-maligen Europameisters UdSSR erstmals an einer EM teilnimmt. Die Olympiahalle ist nun bis zum letzten Platz (und darüber hinaus) gefüllt – und die Mehrheit hält es mit den Deutschen. Ein gewisser Dirk Nowitzki, damals jugendlicher Fan aus Würzburg, ist dabei, auf den Rängen ist fast ausschließlich Schwarz-Rot-Gold zu sehen. Den Deutschen gelingt es, die Partie lange offen zu halten – bis die dramatischen Schlusssekunden beginnen.


Russland führt zehn Sekunden vor der Schlusssirene mit 70:68. Point Guard Nürnberger bringt den Ball in die gegnerische Hälfte – dann zieht er angefeuert vom Publikum das Tempo an. Der Guard sucht und findet Welp mit einem perfekten, cleveren Steckpass an zwei Gegenspielern vorbei. Der Center steigt 3,9 Sekunden vor dem Ende hoch und trifft per Dunk zum Ausgleich – und wird dabei gefoult. „Weeeeeeelp“, schreit Fritz von Thurn und Taxis, der das Spiel für die ARD kommentiert, in sein Mikrofon. „Was habe ich Ihnen gesagt?“ Auf den Rängen wird schon Konfetti geschmissen.


Ein Freiwurf trennt Deutschland jetzt noch vom Titel. Und eine Auszeit. „We will rock you“ heizt die Stimmung an. Dann tritt Welp an die Linie, lässt den Ball ein paar Mal aufprallen, atmet durch – und trifft sicher. 71:70, nur noch drei Sekunden auf der Uhr. „Deutschland ist Europameister“, ruft von Thurn und Taxis. „Ich glaube, ich glaube!“


Die Russen probieren es nämlich nochmal mit einem wilden Versuch aus der Distanz. Für Sekundenbruchteile steht die Welt still, denn der Notwurf nähert sich dem Ring verdammt gefährlich an. Doch statt durch die Reuse zu sausen, prallt er ab – Momente später reißen die deutschen Spieler die Arme hoch. „Jaaaa“, schreit von Thurn und Taxis. Die Olympiahalle explodiert in einem einzigen Jubelschrei, die deutschen Spielern können ihr Glück kaum fassen, liegen sich in den Armen, klatschen mit Fans ab und brüllen ihre Freude heraus. Nur einer hat es wieder eilig.


Welp sucht schon wieder das Weite, bahnt sich einen Weg durch die große Jubeltraube und stürmt regelrecht in die Kabine. In der TV-Übertragung ist zu sehen, wie er gerade noch aus dem rechten Bildrand entschwindet, fast über das Absperrband stolpert. Der Matchwinner braucht wie schon nach dem Spanien-Spiel ein bisschen Ruhe.


Später stemmt er den Pokal mit seinen Teamkollegen aber dann doch stolz in die Höhe. Außerdem wird er als Turnier-MVP ausgezeichnet. Er, der fast nicht dabei gewesen wäre. Und Welp, der 2015 überraschend und viel zu früh verstorben ist, entscheidet sich dann auch noch, ein TV-Interview zu geben. „Europameister zu sein“, sagt er leise, fast schüchtern. „Das kann nicht jeder von sich sagen.“


Die Europameister von 1993: Stephan Baeck, Gunther Behnke, Hans-Jürgen Gnad, Henning Harnisch, Michael Jackel, Moritz Kleine-Brockhoff, Michael Koch, Jens Kujawa, Kai Nürnberger, Teoman Öztürk, Henrik Rödl, Christian Welp; Trainer Svetislav Pesic, Co-Trainer Bernd Röder und Burkhard Prigge, Delegationsleiter Jörg Trapp, Abteilungsleiter Leistungssport Jürgen Molitor, Mannschaftsarzt Dr. Jürgen Klein, Physiotherapeut Klaus Breitung, Physiotherapeut Dieter Happ und Betreuer Adi Zaar.

© – by kicker.de

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