Bauermanns EM-Kolumne: Stars in ihren Rollen, aber: Schneller spielen! – NBA – Basketball – diesportexperten.de
Dirk Bauermann (64) analysiert für den kicker die deutschen EM-Spiele. In seiner zweiten Kolumne lobt der frühere Bundestrainer einen bestimmten Rollenspieler, sagt, was bei Schröder und Co. noch besser laufen muss und ärgert sich über exzessive Video-Pausen.
Dirk Bauermann prägte in den 1990er Jahren eine Ära in Leverkusen.
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Mich hat es überhaupt nicht überrascht, dass die Mannschaft gegen Bosnien und Herzegowina gerade in der ersten Hälfte eine etwas blutleere Vorstellung abgeliefert hat. Ich finde es sogar sehr normal nach diesem emotionalen Hoch. Nach der tollen Leistung beim Sieg gegen Frankreich war das genau so zu erwarten. Wichtig ist dann immer die Reaktion, die man zeigt, wenn man aus der Halbzeitpause kommt. Nach sicherlich richtigen Worten von Gordie Herbert hat das die Mannschaft ab dem dritten Viertel in hervorragender Weise umgesetzt und es wieder geschafft, den Rhythmus des Spiels über die Verteidigung zu verändern.
Um ein Klischee zu benutzen: Sie hat über den Kampf zurück ins Spiel gefunden und sich dadurch einen schönen offensiven Rhythmus erworben. Sich nach den ersten schwierigen 20 Minuten nicht das Selbstvertrauen und die Energie nehmen zu lassen, sondern eine passende Antwort geben zu können, ist ein sehr erfreuliches Zeichen.
Wieder ist deutlich geworden, dass das Spiel der deutschen Mannschaft auf vielen Schultern ruht, dass jeder der Jungs bereit, mutig und selbstbewusst genug ist, wichtige Akzente auf dem Feld zu setzen, nicht nur defensiv, sondern auch offensiv. Gegen Frankreich waren es vor allem Maodo Lo und Johannes Thiemann. Diesmal war Thiemann in der ersten Hälfte wieder wichtig, als es aber später richtig losging, war auf Co-Kapitän Johannes Voigtmann Verlass und auf Schütze Andreas Obst, der gegen Frankreich kaum zum Einsatz gekommen war. Niels Giffey war aus meiner Sicht auch wieder stark.
Hinzukommen beispielsweise die Akzente, die Jonas Wohlfarth-Bottermann defensiv gesetzt hat. Es geht ja nie darum, die zwölf besten Einzelspieler im Kader zu haben, sondern um eine gute Mischung, daher immer auch um Rollenakzeptanz und das Bestreben, Star in der eigenen Rolle zu sein. Jonas hat es sehr gut hinbekommen, zu wissen, was von ihm erwartet wird. Seine Rolle mit viel Identifikation und Leidenschaft auszufüllen, bedeutet: Würfe zu blocken, hart zum Korb zu rollen, gut zu rebounden und gut im Pick’n’Roll und gegen den eigenen Mann zu verteidigen. Solche Typen braucht die Mannschaft. Ich freue mich sehr für Jonas, auch weil das Spiel gegen Frankreich für ihn mit frühen Foulproblemen unglücklich gelaufen war.
Bei aller Freude über den zweiten Sieg glaube ich, dass es der deutschen Mannschaft helfen würde, wenn der Ball schneller bewegt wird. Manchmal bleibt er etwas lange in den Händen eines Spielers. Rhythmus kommt immer über Ballbewegung, ganz ähnlich wie im Fußball: Ein Kontakt und weiter. In der NBA sprechen die Trainer immer über 0,5 Sekunden. In dieser sehr kurzen Zeit muss der Spieler entscheiden, ob er wirft, zum Korb zieht oder passt. Alles, was länger als zwei Sekunden am Ball dauert, lässt das Spiel stagnieren. Gerade unsere Aufbauspieler sollten sich manches Mal schneller vom Ball trennen.
Zum Schluss noch ein kritischer Blick auf den Videobeweis. Gegen Bosnien hat man gesehen, dass eine exzessive Anwendung des Videobeweises den Rhythmus unterbricht und dem Spiel nicht guttut. Als Deutschland hintenraus deutlich führte und die Schiedsrichter für eine recht klare Sache einen Videobeweis einforderten, war das Spiel danach ein anderes und die Bosnier kamen nochmal heran, obwohl sie schon recht weit abgeschlagen waren. Der bosnische Lauf hatte mit dieser Unterbrechung zu tun. Man sollte die Situationen, in denen es den Videobeweis geben kann, extrem einschränken. Ich würde es gerne sehen, wenn er nur in den letzten zwei Minuten eines Spiels zur Anwendung kommt und auch nur in klar definierten Situationen. Aktuell kommt der Videobeweis zu häufig zum Einsatz und nimmt auch zu viel Verantwortung von den Schiedsrichtern.
Dirk Bauermann (64) hat mit der deutschen Nationalmannschaft um Dirk Nowitzki 2005 EM-Silber gewonnen und die DBB-Auswahl insgesamt gut acht Jahre gecoacht (WM 1994, 2003 bis 2011). Mit Leverkusen und Bamberg gewann Bauermann als Trainer unter anderem neun Deutsche Meistertitel. Seit Februar 2020 ist er Nationaltrainer Tunesiens, gewann 2021 die Afrikameisterschaft – und hält Vorträge zu den Themen Erfolg, Motivation und Teambuilding.