Bruins-Coach Sturm im Interview: "Wäre es gut gelaufen, wäre ich nicht hier"

Bruins-Coach Sturm im Interview: „Wäre es gut gelaufen, wäre ich nicht hier“ – NHL – Eishockey – diesportexperten.de


Eine wahre Ochsentour liegt hinter Marco Sturm (46), um nun als erster Deutscher in der NHL als Cheftrainer arbeiten zu dürfen – und zwar bei den Boston Bruins.

Florida ist zwar Marco Sturms Zuhause, Boston aber sein Arbeitsplatz als neuer Cheftrainer der Bruins, eines der sechs NHL-Gründungsteams. Niederbayern bleibt Heimat, der kicker trifft sich mit ihm in Landshut während seines kurzen Sommeraufenthalts in Deutschland.

Haben Sie den 8. Oktober dick im Kalender markiert, Herr Sturm?

Ja, der Tag wird etwas ganz Besonderes für mich. Bis dahin möchte ich mich so gut wie möglich vorbereiten, bis endlich mein großer Traum in Erfüllung geht, bei einem NHL-Klub als Chef hinter der Bande zu stehen.

Sie sind der erste deutsche Cheftrainer in der NHL. Wissen Sie auch, der wievielte Europäer Sie sind?

Nein, das fällt mir nicht ein.

Der vierte. Es zeigt, wie selten eine solche Berufung ist.

Ich bin mir bewusst, dass es nicht normal für einen Europäer ist, Head Coach in der NHL zu werden. Man muss dafür fast einen Weg gehen wie ich. Das heißt zunächst, jahrelang in der NHL gespielt zu haben. Jeder kennt mich dort drüben, die Hockeywelt ist ziemlich klein. Anschließend weniger mein Job als Bundestrainer, vielmehr die Stelle als Assistent bei den Los Angeles Kings und anschließend als Cheftrainer ihres Farmteams Ontario Reign. Das war der entscheidende Schritt. Die General Manager wollen meist jemanden, der nicht nur als Assistent gearbeitet, sondern Erfahrung als Chefcoach hat. Teilweise sind wir in der AHL per Bus gereist, aber das war mir ebenso wie das Gehalt egal, ich hatte nur das Ziel NHL vor Augen.

Ohne die Ochsentour durch die AHL hätte es mit den Bruins nicht geklappt?

Vermutlich nicht. Ich hatte mich vorher bei zwei, drei Leuten erkundigt, ob ich das machen soll. Der Schritt war genau der richtige.

Hatten Sie diesen Plan im Kopf, als Sie 2015 Ihre zweite Karriere ausgerechnet mit dem Job des Bundestrainers begonnen haben?

Nein, wenn ich ehrlich bin. Ich wollte eigentlich nur Scout für die Nationalmannschaft werden, der damalige DEB-Präsident Franz Reindl hat mir dann das Angebot als Cheftrainer gemacht. Die NHL war damals ziemlich weit weg. Erst nach der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2018 ist mir bewusst geworden: Das bin ich, darin bin ich gut, hier will ich weiterkommen. Zeitgleich kamen die Anfragen, und ich wusste: Okay, jetzt ist es so weit.

Was war der Türöffner für den Trainerjob in Nordamerika: Die dortige Karriere mit mehr als tausend NHL-Spielen oder die Silbermedaille?

Eine Kombination aus beidem. Mit Rob Blake und Glen Murray, den Verantwortlichen der Kings, die mir das Angebot machten, habe ich teilweise gespielt, das hilft natürlich. Murray war mein Teamkollege in Boston. Und die Silbermedaille hat auch dort jeder registriert.

Wie lief der Bewerbungsprozess bei den Bruins, für die Sie von 2005 bis 2010 die Schlittschuhe schnürten?

Ein Vorteil war, dass ich diesen Prozess schon vor einem Jahr mit den San Jose Sharks erlebt hatte. Ich wusste, was auf mich zukommt, wie ich meine Präsentationen vorbereiten muss. Insgesamt ging das über fast zwei Monate.

Laut General Manager Don Sweeney waren Sie einer von 15 Kandidaten. Ab wann waren Sie sicher, den Job zu bekommen?

Mit der Zusage! Bei den Sharks war ich unter den letzten zwei Kandidaten und meinte auch, ich hätte den Job. Deshalb war ich vorsichtig. Als wir übrigens 2018 Silber geholt haben, spielten wir original das System der Bruins, „hard to play against“. Das bedeutet viel Wert auf Defensive, stabil sein, umschalten auf Offensive, eine gewisse Härte. Ich glaube, dass ich deshalb zu den Bruins passe.

Die Bruins befinden sich im Umbruch, gaben im Frühjahr Captain Brad Marchand nach Florida ab. Was ist ein realistisches Ziel in der schwierigen Atlantic Division mit Titelverteidiger Florida, Toronto, Tampa, dem Erzrivalen Montreal und Tim Stützles Ottawa Senators?

Wäre es gut gelaufen, wäre ich hier nicht Trainer geworden. Einen großen Umbruch kann man sich in Boston nicht erlauben. Wir wollen um einen Platz in den Playoffs kämpfen, eine Saison wie die vorige darf sich nicht wiederholen.

Haben Sie ein Vorbild als Trainer?

Darryl Sutter und Claude Julien waren zu Spielerzeiten Typen, von denen ich viel gelernt habe. In Los Angeles mein Chef Todd McLellan, von dem ich viel mitgenommen habe, was neben dem Job auf dem Eis alles zu erledigen ist. Die Videoanalyse nimmt zum Beispiel extrem viel Zeit ein.

Stichwort Zeit: Wie viel bleibt Ihnen bei dem engen Spielplan und den vielen Reisen für die Arbeit an der Mannschaft?

Es ist eine andere Arbeit, Video ist oft das Training, Konzentration auf die nächsten 20 Minuten, weil Kopf und Beine auf dem Eis oft müde sind.

Unser Superstar David Pastrnak hat mich sogar zuerst angerufen.

Bostons neuer Head Coach Marco Sturm

Ist der Druck bei einem Traditionsteam wie den Bruins größer als andernorts?

Absolut! Ich habe es als Spieler in Boston erlebt, aber genau das hat mich besser gemacht. Es ist nicht immer alles nur negativ, die Fans sind sportbegeistert, wollen uns gewinnen sehen. Sie geben uns aber auch den gewissen Push, der woanders fehlt.

Was war Ihre erste Amtshandlung?

Ich habe mit allen Spielern telefoniert. Unser Superstar David Pastrnak hat mich sogar zuerst angerufen, das zeigt seine Qualität als Mensch wie auch als Profi. Pasta liebt Eishockey, er ist positiv verrückt. In dieser Hinsicht erinnert er mich an Leon Draisaitl. Die Jungs sind heiß und freuen sich auf einen neuen Trainer – sie wollen die schwierige Zeit aus dem Frühjahr unbedingt hinter sich lassen.

Haben Sie mit Draisaitl gelitten, als der mit den Edmonton Oilers sein zweites Cup-Finale in Serie verloren hat?

Ja, obwohl ich eine halbe Stunde vom Stadion in Florida entfernt wohne und für die Panthers gespielt habe. Leon hätte es verdient, den Cup zu gewinnen, aber die Panthers sind momentan eben extrem stark, es hat sich dort viel entwickelt. Leon ist genial, für mich aktuell der beste Eishockeyspieler der Welt, auch wenn viele diese Frage mit Connor McDavid beantworten würden. Leon ist immer gefährlich, wenn er auf dem Eis steht. Diese Qualität haben nicht viele, als gegnerischer Trainer muss man bei ihm sehr wachsam sein.

Hierzulande fehlt es ihm immer noch an der verdienten Anerkennung. Bekommt er diese in Nordamerika?

In Kanada ja, in den USA nein. In Edmonton kann er sich kaum frei bewegen. Ich finde, er hätte besonders in Deutschland mehr Anerkennung verdient. Bei allem Respekt vor dem omnipräsenten Fußball, dort haben wir momentan keinen Spieler, der so gut ist wie Leon im Eishockey. Er glänzt weit entfernt, aber das galt für Dirk Nowitzki im Basketball auch, er war mehr im Gespräch.

Beide sind wie Sie mittlerweile in Nordamerika verwurzelt. Denken Sie bayerisch oder amerikanisch?

(lacht) Das kommt darauf an, bayerisch wird immer schwieriger. Daheim sprechen wir aber immer noch Deutsch. Heimzukommen ist immer schön, die Heimat ist aber eher Amerika.

Wie definieren Sie Heimat?

Die Antwortet lautet: Familie. Ich lege großen Wert darauf, dass der Kontakt immer vorhanden ist, egal wo ich gerade bin.

Landshut oder Boston: Wo werden Sie häufiger auf der Straße erkannt?

Vor zwei Monaten wäre es Landshut gewesen, aber die Zeiten ändern sich jetzt. Joe Mazzulla, der Head Coach der Boston Celtics, hat sich gemeldet und gratuliert, man tauscht sich aus, ich werde eingeladen. Boston ist eine Sportstadt.

Von den letzten sechs Stanley-Cup-Siegern kamen mit zweimal Florida, zweimal Tampa und Vegas fünf aus dem Süden der USA, mit Colorado nur einer aus einem traditionellen Eishockey-Markt. Wie lautet Ihre Erklärung dafür?

Es gibt mehrere Gründe. Die Qualität des General Managers macht viel aus, Bill Zito etwa hat in Florida viel bewegt, mit Paul Maurice den richtigen Trainer verpflichtet. Beim Kader haben sie einen guten Job gemacht. Ein gewichtiger Grund ist sicher das Thema Steuern. In Florida gibt es keine Einkommenssteuer, dadurch können sie im Salary Cap zwei gute Spieler mehr verpflichten als beispielsweise die Boston Bruins.

Sind die Panthers wieder Favorit?

Ja, der Top-Favorit! Normalerweise kann der Stanley-Cup-Champion sein Team wegen des Salary Caps nicht zusammenhalten, Florida hat es geschafft. Sam Bennett, der MVP der Playoffs, hätte bei einem anderen Team zehn Millionen Dollar verdienen können, in Florida bekommt er acht, was ihm wegen der Steuerfreiheit nichts ausmachen dürfte.

Sie sind Cheftrainer, Draisaitl, Stützle, Mo Seider oder J.J. Peterka Stars der Liga. War Deutschland in der NHL jemals besser aufgestellt?

Diese Spieler sind anders als zu meinen Zeiten alle Stars. Jochen Hecht, Dennis Seidenberg oder ich waren gute Spieler, mehr nicht.

Die NHL geht nach Übersee, möchte Eishockey weltweit bekannt machen. Olympia ist dabei ganz wichtig.

Die NHL-Profis werden erstmals seit 2014 bei den Olympischen Spielen im nächsten Jahr wieder dabei sein. Was trauen Sie Deutschland zu?

Wir haben gute Spieler, wenn auch nicht in der Tiefe wie die großen Nationen. Es wird nicht einfach, zu verstecken brauchen wir uns aber nicht. Das Viertelfinale sollte möglich sein, wir sind besser als viele andere Nationen. Die Favoriten heißen aber ganz klar Kanada und USA.

Muss die NHL künftig wieder regelmäßig ihre Stars schicken, um die Popularität außerhalb Nordamerikas zu steigern?

Das finde ich schon. Die NHL macht einen überragenden Job, sie geht nach Übersee, möchte Eishockey weltweit bekannt machen. Olympia ist dabei ganz wichtig, damit jeder sieht, was für ein geiler Sport das ist.

Weil wir in Landshut sind: Was ist realistischer, der Stanley Cup mit den Bruins oder die Rückkehr des traditionsreichen EV in die DEL?

Ich hoffe der Stanley Cup. (lacht)

Interview: Frank Linkesch



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