Ibrahimagic im Interview: "Der deutsche Basketball hat sich immer schlechter gemacht"

Ibrahimagic im Interview: „Der deutsche Basketball hat sich immer schlechter gemacht“ – NBA – Basketball – diesportexperten.de


Plötzlich Chef. Wegen der Erkrankung von Alex Mumbru coachte Co-Trainer Alan Ibrahimagic (47) die deutschen Basketballer zu EM-Gold. Im großen Interview spricht er über den Rollenwechsel, die Entwicklung an der Basis, seine Art des Genießens, Dennis Schröder, Franz Wagner und er sagt, ob das DBB-Team in der NBA bestehen könnte.

Als 14-Jähriger kam er Anfang der 90er Jahre aus dem heutigen Bosnien-­Herze­gowina nach Berlin – und fasste in Deutschland auch durch den Basketball schnell Fuß. Unterbrochen nur durch einen zweieinhalbjährigen Aufenthalt ab 1998 in Australien, wo er auch die dortige Staatsbürgerschaft annahm, spielte Alan Ibrahimagic bis hoch zur 2. Liga, war danach als Trainer in verschiedenen Funktionen aktiv. Lange im Nachwuchs bei Alba Berlin, als Co-Trainer in Profiteams und dann auch beim Deutschen Basketball-Bund.

Beim DBB ist er seit 2013 als Bundestrainer Nachwuchs festangestellt, gewann mit der U 20 EM-Bronze (2018 und 2019) und mit der U 18 EM-Gold (2024) – der erste deutsche Junioren-Titel überhaupt. Dieses starke Team legte 2025 Silber bei der U-19-WM nach. Seit 2017 ist Ibrahimagic zudem Co-Trainer des A-Nationalteams. Aus dieser Rolle heraus wird er bei der EM wegen einer Bauchspeicheldrüsen-Entzündung des neuen Headcoachs Alex Mumbru plötzlich Chef und coacht das Team auch zum 88:83-Triumph im Finale gegen die Türkei.

Der EM-Erfolg und seine Nachwirkungen. Wie waren die zwei Wochen danach, Herr Ibrahimagic?

Sehr anstrengend. Nicht nur für den Kopf, auch für den Körper. Ich war viel unterwegs, Termine in Frankfurt, in Berlin, ein Auftritt im Sportstudio. Aber natürlich ist es ein schöner Anlass, das gibt eine gewisse Leichtigkeit, weil die Grundstimmung passt. Bald wird es abflachen, dann kann man ein bisschen begreifen, was genau passiert ist.

Das ZDF-Sportstudio hatten Sie sicher nicht eingeplant. Sind Sie da anders nervös als vor einem EM-Finale?

Diese drei Wochen sind für mich selber noch ein Mysterium. Also ich war weder bei den Spielen, noch beim Sportstudio nervös. Davor bei manchen Jugendspielen war ich deutlich nervöser. Während der EM war ich wie im Tunnel.

War es das Selbstvertrauen in dem Wissen: Ich bin gut vorbereitet.

Auch das, hundertprozentig. Und ich habe zugleich das Vertrauen bekommen von den Jungs. In diesem Sommer war ja eigentlich die U-19-WM als mein Highlight geplant. Da waren wir ähnlich gut, haben erst im Finale gegen die USA verloren, und auch da war ich kaum angespannt, sondern innerlich sehr ruhig. Sehr seltsam irgendwie, aber wohl doch besser, als wenn ich in der Anspannung vielleicht verrückte Sache gemacht hätte.

Wie viele Kinder und Jugendliche stecken noch in den Europameistern?

In ihrem Wesen ist bei vielen noch eine Menge Kindliches, vor allem abseits des Courts. Allerdings kenne ich die meisten schon sehr lange, da merkt man auch einen Reifeprozess. Wichtige Niederlagen, die sie ja auch mal hatten, haben sie geprägt. Und sobald es ernst wird, sind sie völlig fokussiert.

Welchen Europameister kennen Sie eigentlich am längsten?

Ganz klar Franz (Wagner, d. Red.). Sein Bruder Moritz war damals, 14 oder 13, also muss Franz 9 oder 10 gewesen sein.

Franz Wagner ist ohnehin eine herausgehobene Figur durch seine jetzt schon eindrucksvolle NBA-Karriere. Hat man damals als Kind schon irgendwie erkennen können, dass das ein Welt- und Europameister wird?

Marius Huth, mein langjähriger Kollege und Freund, hat mich mit Moritz bekannt gemacht. Dann hat er gesagt: „Da ist noch ein junger Bruder, der ist auch extrem talentiert, hat aber trotz seines Alters schon einen unglaublichen Fokus.“ Wie die Jahre vergingen und sie älter wurden, hat man das immer deutlicher gesehen.

Was genau?

Franz war einfach schon immer etwas Besonderes, irgendwie stets schneller, als man es erwartet hat. Man dachte: Okay, der wird gut. Aber dann wird er ständig besser. Man legt die Latte höher, und das schafft er dann auch. Ich würde sagen, dass er noch immer in diesem Tempo ist, ständig ein bisschen besser zu sein.

Vor 20 Jahren war das Nationalteam extrem abhängig von Dirk Nowitzki. Hätten Sie sich solche Erfolge ohne ihn vorstellen können? Den Aufstieg zu einer Top-Nation im Basketball, an dem Sie ja jahrelang im Verband mitgearbeitet haben.

Ich habe damals schon in meinen ersten Jahren mitbekommen, dass sich einiges ändert. Die BBL hat neue Regeln eingeführt, um den Nachwuchs zu stärken. Vor allem durch die 6+6-Regel, durch die die Klubs mindestens sechs Deutsche auf dem Spielberichtsbogen haben müssen, wurden die Vereine quasi gezwungen in die Jugend zu investieren. Sie mussten jeweils mindestens einen Jugendtrainer hauptamtlich beschäftigen und so weiter, das ging schon in die richtige Richtung. Was außerdem geholfen hat, ist, dass wir hier viele Menschen mit unterschiedlichen Backgrounds haben.

Dass zwar viele Leute Fußball gucken, aber oft keine Ahnung von anderen großen Sportarten wie Basketball haben, ist für mich schwer zu begreifen.

Also war nur Geduld gefragt?

Naja, nicht nur. Aber man hat schnell gesehen: Es ist genug Talent da, grundsätzlich auch eine gute Infrastruktur, also musste man ernsthaft und mit der nötigen Zeit arbeiten. Auch aus dem Ausland hörten wir oft: Ihr habt alles, was man braucht, in ein paar Jahren werdet ihr ziemlich gut sein. Und so ist es gekommen. Super überraschend war es nicht.

Überbordende Freude: Deutschland krönt sich zum Europameister.
IMAGO/camera4+

Würden Sie generell sagen, Deutschland wäre in Sportarten außerhalb des Fußballs viel erfolgreicher, wenn diese jeweils einen anderen Stellenwert im Land hätten?

Davon bin ich überzeugt, ja. Der Stellenwert könnte deutlich höher sein, man schaue beispielsweise auf den Balkan und den Basketball dort. Als ich nach Deutschland gekommen bin, war ich entsetzt, dass es hier keine tägliche Sportzeitung gibt. Und dass zwar viele Leute Fußball gucken, aber oft keine Ahnung von anderen großen Sportarten wie Basketball haben, ist für mich schwer zu begreifen, da ich schon im Alter von acht, neun Jahre alles zum Sport aufgesogen habe, was ich kriegen konnte.

Wie kann der DBB nun diesen aktuellen Schwung mitnehmen? Müssen Sie ran an die Politik?

Wir haben jetzt während des Turniers wieder mitbekommen, dass der Ansturm auf die Vereine riesig ist. Doch es fehlen Kapazitäten, bei den Coaches ebenso wie bei den Trainingsmöglichkeiten. Trotz des EM-Titels wird uns aber wohl niemand sofort zusagen, deswegen eine Halle zu bauen. Der Verband arbeitet in diese Richtung, aber es braucht auch öffentlichen Druck. Und einen langen Atem.

Müssen Dennis Schröder oder Franz Wagner zu Lobbyisten werden?

Ich weiß nicht, ob das dann nachhaltig sein kann oder letztlich doch nur für Einzelfälle sorgen würde. Es ist jedenfalls super, dass sich Dennis allgemein für Kinder und den Sport in seiner Heimatstadt Braunschweig engagiert. In der vorherigen Regierung war der Sport noch im Innenministerium angesiedelt, jetzt gibt es eine Staatsministerin für Sport und Ehrenamt. Ich weiß noch nicht, ob das Hoffnung auf Besserung macht.

Wie sehen Sie denn die Entwicklung an der Basis?

Neben dem Mangel an Hallen und Trainern eigentlich gut. Die Trainer sind allgemein deutlich besser geworden, auch weil die Bundesliga vor ein paar Jahren die Full-Time-Jobs verpflichtend eingeführt hat. Aber bessere Trainer bringen auch ein Problem mit sich.

Welches?

Sie versuchen noch schneller nach oben zu kommen. Eigentlich brauchen wir die guten Coaches aber bei den jungen Jahrgängen, also an der Basis. Dennoch: Es ist insgesamt ein deutlich höheres Niveau, als vor zehn Jahren und ich bin zuversichtlich, dass es noch besser wird.

Muss der Sport aber auch versuchen für Kinder noch niedrigschwelliger zu werden? Der Ball ist relativ groß, oftmals sind die Körbe nicht höhenverstellbar. Das ist für die Kleinsten oft frustrierend. Im Fußball gibt es die Mini-Tore, beim Volleyball spielen die Frauen beispielsweise mit einem niedrigeren Netz.

Es gibt einige Initiativen für die niedrigeren Körbe, Berlin war da der Vorreiter. Aber es braucht noch mehr, um die Kinder zu erreichen. Die 3×3-Geschichte ist ziemlich cool, da spielen auch viele Leute, die keine Lust auf Vereinssport haben. Es braucht keine Spielerpässe, ein Zwölfjähriger kann einfach hingehen und mitspielen.

Was ist das ideale Einstiegsalter?

Ich würde nicht zu früh beginnen. Als mein Sohn angefangen hat mit neun, da dachte ich: „Okay, wenn du 20 bist, hast du elf Jahre gespielt und vielleicht keine Lust mehr.“ Ich würde anfangs eher was anderes machen, Kampfsport zum Beispiel, das ist wichtig für die Koordination, oder Turnen. Letztlich ist es aber egal, ob du vorher Fußball, Handball oder einen anderen Teamsport gemacht hast. Es ist alles vergleichbar, die Wechsel zwischen den Sportarten sind nicht so schwer.

Ein gutes Team: Franz Wagner (links), Alan Ibrahimagic (Mitte) und Moritz Wagner.
IMAGO/camera4+

Und warum sollte es dann doch irgendwann Basketball werden?

Weil es für mich der schönste, beste Sport ist. Von der Spannung her, von der Eleganz auch, und von der Physis. Das Gesamtpaket ist schon sehr attraktiv.

Sie wirken stets so nüchtern und besonnen. War das auch in der Nacht nach dem Finale so?

So blöd es klingt, aber unser Weg war einfach cool, und als es geschafft war, war es ebenfalls cool. Direkt nach dem Sieg habe ich mit Moritz Wagner telefoniert, weil wir eine besondere Verbindung haben er ja leider nicht vor Ort sein konnte wegen seiner Reha nach der Knie-OP. Aber ich muss jetzt nicht nach außen ausflippen. Keine Sorge allerdings: Ich genieße sehr wohl, etwas stiller eben mit Freunden und mit der Familie. Ich trinke eben nicht zehn Bier oder drei Flaschen Wein auf der Party (schmunzelt). Auch hier zum Interview zu sein, ist schon was Besonderes. Das ist auch irgendwie Genießen. Genießen heißt für mich, ich setze mich morgens ins Café mit einem Espresso und lese Zeitung – tatsächlich Print. Wenn ich das haben kann, dann ist es super.

Sie sagten nach dem Finale auch, dass sie zwei Tage später die Kinder wieder in die Schule bringen müssten. Haben Sie es gemacht?

Ja, tatsächlich. Mein Sohn hatte verschlafen, und wir waren spät dran, haben es aber geschafft. Es war ja der erste Tag des neuen Schuljahres.

Wie reagieren die Leute nun in Ihrer Umgebung?

Es haben schon ein paar Leute aus der Schule geschrieben und es gab Glückwünsche aus der Nachbarschaft. Menschen, die eigentlich nie Basketball geguckt haben, und die sagten dann: „Oh, wussten wir gar nicht, dass du dort bist.“ Und ja, es wollen derzeit Leute ein Foto mit mir, auch wenn mich hier in Nürnberg zum Glück nicht so viele erkennen.

Wenn Sie als derart besonnener Typ manchmal Kollegen ausflippen sehen, was denken Sie da? Oh, wie peinlich! Oder: Oh, clever, der kommt in die Köpfe der Referees.

Ich kann bei Spielen auch ganz anders sein, bei meinen Jugendmannschaften. Das ist dann womöglich auch manchmal peinlich. Jetzt in der Situation bei der EM hätte ich es falsch gefunden, zu laut und auffällig aufzutreten.

Weil Sie ja eigentlich „nur der zweite Mann“ waren und sich nicht im Mittelpunkt aufspielen wollten?

Genau. Es ging ja wirklich um die Mannschaft, und die war gefestigt genug. Es war wirklich beeindruckend von Tag eins an, was für ein Fokus da war, was für eine Klarheit auf ein Ziel ausgerichtet: „Wir wollen Europameister werden!“

Ab wann im Turnier hatten Sie das Gefühl, dass es wirklich klappen kann mit dem Titel?

Dieses Selbstvertrauen, zielgerichtet an die Sache ranzugehen, war von Anfang an da. Es gab wirklich wenig Zweifel, auch in den schlechten Phasen. Wir hatten natürlich Respekt vor Slowenien, vor Finnland, vor der Türkei sowieso. Aber auch wirklich großes Vertrauen in uns selbst, bis zum Schluss.

Hatten Sie überhaupt eine andere Wahl, als kurzerhand den Chefposten zu übernehmen, als Alex Mumbru erkrankt ausfiel?

Das war kein Thema. Und es war seitens des Verbands auch nicht unbedingt als Frage formuliert (schmunzelt). Aber man muss auch sehen, dass es eine absolute Ausnahmesituation war. Auch die Ärzte wussten ja nicht wirklich, wie es weitergehen kann. Anfangs habe ich mir gedacht: Na gut, ein Spiel, klar, machen wir. Aber dann ging es weiter und wir wurden von der Lage alle überrascht.

Nach dem ersten Spiel waren wir schnell in einem Flow drin.

Sie hatten praktisch gar keine Zeit für Muffensausen?

Ich habe mich auch selber gefragt: „Okay, solltest du nicht irgendwie ein bisschen aufgeregter sein?“ Aber nach dem ersten Spiel waren wir schnell in einem Flow drin.

Kann man diese Ruhe genauso auf die Mannschaft übertragen?

Das war wahrscheinlich der Grund, warum sie mich so angenommen haben. Aber wie gesagt, ich kannte sie, sie kannten mich, wir haben eine sehr gute Basis. Es war wirklich null Aufregung, bis auf diese eine Geschichte, wo sie sich die Jungs zu der Pressekonferenz gesellt und ein paar Sachen angesprochen haben, die ihnen bei der Berichterstattung über den Wechsel der Chefcoach-Verantwortung nicht passten. Sie wollten da Alex den Rücken stärken.

Es gibt kaum einen Co-Trainer, der nicht insgeheim auch eigene Ideen hat und Sachen anders machen würde.

Wir haben ja schon vor dem Turnier viele Dinge zusammen entwickelt. Wir waren da zwar nicht 100 Prozent deckungsgleich, aber das war auch in Ordnung so, ich konnte alles mittragen. Und später ging es eher um Kleinigkeiten, wann wir wechseln, welcher Spielzug, wann wir eine Auszeit nehmen, und so weiter, das hat er alles komplett mir überlassen.

Hatten Sie nach dem Titel einen besonderen Moment mit Mumbru?

Ja, wir alle im Trainerstab haben uns bedankt für das Vertrauen. Er hat ja gesagt: „Hey, du machst es und ich vertraue darauf, dass du es gut machst. Ich habe keine Zweifel.“ Das war toll. Für ihn war es hingegen ein gesundheitlicher Kraftakt, das durchzuziehen, auch während der Spiele, mit Schmerzen und auf jeden Fall Stress, das hilft ja nicht. Wir waren alle komplett platt, da kann man sich vorstellen, wie es einem mit solchen gesundheitlichen Problemen wohl geht.

Mumbru hat 2024 die schwierige Nachfolge von Weltmeister-Coach Gordon Herbert angetreten, als Spanier, der vorher keine Verbindung zum DBB hatte. Welchen Anteil hat er am EM-Erfolg?

Weil ich vorher schon mit Gordie gearbeitet hatte, war ich der erste Ansprechpartner für Alex, bin mit ihm durchs Land und zu den Klubs gereist, habe ihm viel über die Spieler erzählt. Er hatte einen großen Respekt davor, was hier erreicht wurde. Er wusste von Anfang an um die gute Atmosphäre im Team und wollte an den Abläufen nicht viel ändern. Auch das Team hinter dem Team ist weitgehend gleichgeblieben.

Was wurde dennoch verändert?

Alex will, dass wir schneller spielen, mit mehr Würfen. Das haben die Spieler gut angenommen, wie auch ihn als Menschen.

Hat sich Ihr Verhältnis während der EM verändert?

Nein, wir haben weiter sehr vertrauensvoll gearbeitet. Wir sind auch jetzt in Kontakt. Ich hoffe, er erholt sich jetzt in Ruhe und wir sehen uns im November bei den nächsten Spielen.

Wie wird das dann für Sie, wieder zurückzugehen in die zweite Reihe?

Kein Problem. Ich könnte ja auch gehen und woanders Headcoach sein, wenn mich das nicht so erfüllen würde. Wenn Alex kommt, dann setze ich mich wieder hin und dann ist es auch gut. Was jetzt passiert ist, ist passiert und wird mir für immer bleiben. Deswegen sitze ich ja auch hier bei Ihnen zum Interview, sonst wüssten sie wohl kaum, wer ich bin.

Also ist der Ruhm doch auch schön?

Ja, natürlich, aber ich fühle mich jetzt nicht anders, weder als Mensch noch als Trainer. Okay, als Trainer vielleicht eher so, dass ich eine Erfahrung gemacht habe, die sehr extrem war, vor allem auf diesem Niveau.

Wurde eigentlich Ihr Arbeitsvertrag schon an die Hauptverantwortung als Chefcoach beim EM-Titel angepasst?

Nein. Aber ich glaube schon, dass sich der Verband im Nachhinein erkenntlich zeigen wird.

Generell sind Sie nicht der Typus Co-Trainer, der die Chefrolle meidet.

Nein. Dieser Typus ist in Deutschland etwas anerzogen. Da holen die Vereine gern Headcoaches aus dem Ausland und stellen ihnen einen hiesigen Helfer dazu. In Spanien oder auch in den Colleges in den USA ist es hingegen klar: Die Co-Trainer werden die nächsten Headcoaches, weil die irgendwann weiterziehen.

Das bedeutet für Sie?

Ich bin gern Cheftrainer, aber ich habe auch eine Familie mit drei Kindern und will nicht, dass sie ständig den Wohnort wechseln müssen. Also bin ich eben Headcoach im Nachwuchsbereich.

Gab es nach den letzten Wochen schon Angebote als Klub-Headcoach?

Nein, noch hat sich konkret niemand gemeldet.

Überrascht?

Nein. Aber ich hoffe aber, dass es generell ein Umdenken gibt, was jüngere oder überhaupt deutsche Trainer oder auch Spieler angeht. Das war ja auch jahrelang Thema. Nach Einführung der Ausländer-Quote haben die meisten Vereine gejammert, die deutschen Spieler seien teuer und nicht gut genug. Aber du kannst das nicht innerhalb von einem Jahr zusammenschustern. Das brauchte seine Zeit. Aber ich fand, dass sich der deutsche Basketball immer schlechter gemacht hat, als er war. Und ich hoffe, dass die Klubs durch uns gezwungen werden, das zu überdenken, weil jetzt wird es schwer, die Qualität zu leugnen.

Klare Anweisungen: Dennis Schröder (li.) mit Alan Ibrahimagic.
IMAGO/Beautiful Sports

Ist es dann nicht eine besondere Genugtuung, wenn permanent die Chefs aus dem Ausland geholt werden, auch für das DBB-Team, dass Sie jetzt auf großer Bühne den Titel geholt haben?

Es ist auf jeden Fall schön, aber ich wollte eher allgemein auf das Problem hinweisen. Wobei, dieses Jahr sind es sechs deutsche Trainer in der Bundesliga. Also auch hier ändert sich langsam etwas.

Welcher Job würde Sie reizen?

Natürlich etwas in den USA. Wenn man die finanziellen Möglichkeiten dort sieht, nicht nur in der NBA oder an den Colleges, schon an vielen High Schools. Das ist keine Flickschusterei, kein Sparzwang, um über die Runden zu kommen, wie hier vielerorts. Da kann man sich als Coach voll auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren.

Also verstehen Sie, dass es viele deutsche Talente ans College zieht?

Ja, klar. Du hast dort Top-Bedingungen rund um die Uhr, spielst an den riesigen Unis vor 20.000 Leuten, auf dem Campus kennen dich alle und du lebst wie ein Star. Und obendrein gibt es inzwischen gute Gehälter.

Fragen Sie manche Spieler um Rat? Sogar Ivan Karchenkov wechselt von den Bayern, dem besten und finanzstärksten deutschen Klub, ans College.

Er geht wohl nicht wegen des Geldes, sondern weil er sich mehr Spielzeit erhofft. Ich spreche immer wieder darüber mit jungen Spielern, aber viele haben zugleich ja schon Berater, und die Familie redet auch ein Wort mit.

Aber nur die wenigsten schaffen es schließlich aus dem College in die NBA.

Das ist ein wenig wie beim Top-Fußball in Europa. Du musst sofort performen, sonst heißt es Tschüss. Die Spieler an den Colleges werden auch stetig älter, weil du nicht vom College gehen willst, ohne Aussicht auf einen NBA-Vertrag. Dadurch werden die Plätze inzwischen umkämpfter.

Ist es für den deutschen Basketball gut, dass so viele in die USA gehen?

Teils, teils. Es gibt Unis oder auch Ligen, bei denen man sagen muss: Okay, das kann man verstehen und das macht sie auch nicht schlechter. Die Wagners zum Beispiel waren auf einer renommierten Uni, der University of Michigan. Keine Ahnung, ob sie sich auch in Deutschland so entwickelt hätten. Aber es gibt auch welche, für die wäre es schlauer, hier zu bleiben, weil sie im Ausland eher nicht so individuell gefördert werden oder nicht genug Spielzeit bekommen.

Dennis Schröder ist direkt von der BBL in die NBA gewechselt, spielt dort seit 12 Jahren. Aufgetrumpft hat er vor allem im Nationalteam. Sowohl das WM-Halbfinale gegen die USA, das WM-Finale gegen Serbien und jetzt das EM-Finale gegen die Türkei hat er am Ende mit getroffenen Würfen entschieden. Wo steht er für Sie von seinen Leistungen her in der deutschen Sportgeschichte?

Wenn du Weltmeister, Europameister warst, bei den beiden Turnieren als bester Spieler ausgezeichnet wurdest, Kapitän warst, wenn du einfach jedes Mal und wirklich gerne Nationalmannschaft spielst, dafür jedes Mal den Großteil deiner Sommerpause investierst, dann stehst du automatisch irgendwo in der Spitze.

Selbst NBA-Experten sagen, eigentlich müsste Dennis Schröder in die Hall of Fame des Basketballs. Und Sie?

Ja, auf jeden Fall aus meiner Sicht.

Ist das so? Boris Becker ist doch schon eine Legende, die alle geliebt haben.

Dafür war eine Veränderung nötig als Typ – auf und abseits des Parketts. Wie haben Sie diesen Reifeprozess erlebt?

Ich glaube auch da wieder, dass die Niederlagen bei der WM in China 2019 zum Beispiel schon eine Rolle gespielt haben. Ich habe ihn tatsächlich mal gefragt und seine Antwort war, seine Kinder haben ihn verändert, zu einem besseren Menschen. Er hat gemerkt, mit Kindern ist alles anders und denen ist egal, was man als Erwachsener will, die wollen ihre Sache durchziehen. Man sieht ja, wie er als Vater und Ehemann aufgeht.

Schröder zog früher, teilweise auch zurecht, Kritik auf sich, bekommt jetzt verdientermaßen mehr Anerkennung. Aber müsste Deutschland nicht insgesamt wertschätzender mit seinen Sport-Legenden umgehen?

Ist das so? Boris Becker ist doch schon eine Legende, die alle geliebt haben.

Ja, er wurde aber auch sein halbes Leben öffentlich verrissen. Maradona durfte anders leben und hatte sicher nicht weniger Eskapaden als Becker. In anderen Ländern können Sport-Helden zum Beispiel 50 Jahre kostenlos essen gehen…

Das stimmt. Ich glaube, dass ich das nach diesem Erfolg auch könnte, zum Beispiel in Bosnien oder Serbien. Vielleicht nicht gleich 50 Jahre, aber für den Anfang erstmal (schmunzelt). Was soll man machen? Andere Länder, andere Sitten. Die Georgier kriegen eine Million, weil sie das Achtelfinale bei der EM gewonnen haben.

Alan Ibrahimagic zu Besuch in der kicker-Redaktion.
kicker

Hätte die deutsche Nationalmannschaft eigentlich in der NBA eine Chance?

Das war tatsächlich auch ein Thema bei uns, weil einer unserer Assistenztrainer, Randy Gregory, bei den Orlando Magic in der NBA arbeitet. Ich denke, wir würden in der NBA durchaus ein paar Spiele gewinnen.

In der NBA gibt es mit Isaiah Hartenstein einen deutschen NBA-Champion, der zuletzt bei der EM 2017 gespielt hat. Er hat angekündigt, dass er gerne wieder für die Nationalmannschaft auflaufen möchte, und würde die Mannschaft als 2,13-Meter-Kante sportlich besser machen. Ist es schwierig, so einen Spieler in eine eingeschworene Mannschaft zu integrieren?

Ich glaube, die Mannschaft ist offen für neue Spieler und kann sie problemlos integrieren. Das hat man jetzt auch bei Tristan da Silva gesehen. Deshalb sehe ich da keine Probleme. Isaiah ist außerdem ein eher introvertierter und ruhiger Typ, der auch in der NBA dem Team auf dem Feld hilft. Aber natürlich ist am Ende am wichtigsten, das beste Team zusammenzubauen und nicht die zwölf besten Spieler zu nehmen. Doch ich sehe jetzt keinen, bei dem es schwierig wäre. Und ohne Verletzung wäre Isaiah auch dieses Jahr wieder dabei gewesen.

Haben Sie so ein Team schon mal erlebt mit diesem Spirit und dieser Ausgeglichenheit, auch wenn mit Schröder und Franz Wagner zwei Anführer herausragen?

Dieses Jahr habe ich das mit der U-19-Mannschaft erlebt. Es gab viele Parallelen – sowohl spielerisch als auch was den Teamspirit betrifft. Das hat mir auch geholfen, weil ich dachte: Wow, das ist wirklich sehr ähnlich zu den U-19-Jungs im Juli.

Dieses Team war 2024 schon U-18-Europameister. Nach dieser goldenen Generation, die ja noch längst nicht fertig ist, muss man sich keine Sorgen um den Nachwuchs machen. Welche Talente werden wir als nächstes im A-Team sehen?

Christian Anderson hat sein Debüt ja schon gegeben. Dann Hannes Steinbach, Eric Reibe, Jack Kayil. Ivan Kharchenkov ist auch aus diesem Jahrgang, auch wenn er bei der WM jetzt nicht dabei war. Das ist schon eine extrem gute Generation. Die nächsten Schritte werden zeigen, wer sich durchsetzt und regelmäßig spielt. Aber vom Potenzial gibt es sehr viele, die nachkommen können und werden.

Interview: Annika Fröhlich, Martin Gruener, Kilian Marx, Bernd Salamon, Carsten Schröter-Lorenz

© – by kicker.de

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